22.10.2011

106 Tage ohne.



,,Ich kann nicht mehr", sagte ich zu ihr und schnalzte mit dem Haarband an meinem Handgelenk. ,,105 Tage, zu viel, viel viel viel zu viel für mich. Ich möchte mehr, Blut sehen, schmerzen spüren. Und da ist zu wenig. Ich mag einfach dabei sein wie ich elendig sterbe, das will ich. Nur das, nichts anderes". Ich holte Luft und summte eine kleine Melodie die mir irgendwie im Kopf hängen geblieben ist, tat so als wäre es das normalste auf der Welt. Sie guckte mich an, wahrscheinlich dachte sie sich ich würde jetzt ganz durchdrehen. ,,Das willst du nicht wirklich. Sowas ist nicht schön. Ich weis wie schwer es ist so lange durch zu halten, aber du bist stark. Du kannst auch so leben, du brauchst das alles nicht, das redest du dir nur ein", sagte sie und gab mir ein Taschentuch, ich heulte.
*
Wir wollten nichts essen, das steht uns nicht zu. Nur dünne Menschen können sich leisten zu Essen, wir nicht. Wir sind nicht dünn, nicht gut genug. Kein Essen, kein nichts, wir müssen dünn sein, dürfen uns nicht abheben weil wir fett sind, wir sollen uns abheben weil wir wunderschön sind. Das sollen wir erreichen, das wollen wir erreichen, schön sein, dünn sein, akzeptiert werden, perfekt sein. Natürlich wurden wir begrüßt mit einem fetten, ekligem Eis, was wir auch gefressen haben, wie immer, was denn sonst? Das war nicht genug, es waren jetzt 106 Tage ohne. Zu viel für mich, aber hier draußen kann mir keiner was. Wir werden draußen bleiben, die ganze Nacht, ganz sicher. Alles schläft, außer die Bahn. Der Zug ratterte laut, es beruhigte uns auf dem Streifzug durch die wunderschöne, kühle Nacht. Ich hatte hunger, aber nur so fühlte ich mich schön. Und wen mir irgendwann alles zu viel werden sollte, die Bahn würde das alles erledigen und mich gäbs nicht mehr, wie Schade aber auch. Wir schliefen zwischen zwei Bäumen auf einer Mauer, fühlten uns gut. Hunger und der Druck zum schneiden lebte in uns, es war gut sich so zu fühlen, wunderschön, wie Kämpferinnen die nicht aufgeben, zu ihrem Ziel berghoch streben. ,,Mir ist kalt", sagte ich zu ihr. ,,Mir auch, Natalie, mir auch". Dann nur noch der schöne rauch der Zigarette, wir fühlten und frei, heute kann uns keiner was.




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